Vorrede zu den Nachkommengesprächen im September 2018
Ausgehend von dem Unbehagen an der Generationenaufteilung bei dem vorangehenden Workshop habe ich unter den Stichworten Stolz, Trauer und Trauma über psychische Nachwirkungen bei Nachkommen aus Widerstandsfamilien gesprochen, das gilt auch in ähnlicher Weise für die Nachkommen aus verfolgten jüdischen Familien, ob im Widerstand aktiv oder nicht.
Zitiert habe ich Klaus von Dohnany mit seiner Bemerkung, die Familie des Widerstandes ist eine Familie der Seele und nicht des Blutes. Aus dem berechtigten Stolz auf die mutigen Taten der Eltern und Großeltern ist häufig eine Verpflichtung und ein ausgesprochener (und manchmal verborgener) Auftrag an die Nachkommen erwachsen, es ihnen gleich zu tun und ihrem Andenken keine Schande zu bereiten. Das konnte manchmal zu großen Mühen und Belastungen führen.
Bei der Trauer habe ich grenzenlose, verzögerte und pathologische Trauer unterschieden und für alle Formen Beispiele gebracht. U.a. Replacement child= wo man als „Ersatz“ für ermordete Familienangehörige auf die Welt kam und teilweise deren Vornamen bekam. Wo man als Kind regelrecht die Leere in der verfolgten Familie durch Fröhlichkeit und Aktivität auszufüllen hatte und wo hohe, fast unerfüllbare Forderungen an den eigenen Lebenswandel gestellt wurden. Daraus resultierte nicht selten als Gefühlsantwort eine starke Ambivalenz.
Eine regelrechte Traumatisierung kann daraus nachträglich entstehen. Dafür habe ich drei mögliche Auslöser festgemacht und im Detail erläutert:
1. Das Erlebnis der Wende mit seinem Zusammenbruch der DDR und den vielen Folgen.
2. Den gegenwärtigen Rechtsruck in Staat und Gesellschaft der BRD, aber auch im übrigen Europa.
3. Das Alter, indem nach dem Ende der Arbeitstätigkeit und mit dem allmählichen Nachlassen des Kurzzeitgedächtnisses Erinnerungen an die Frühzeit der Familie und die eigene Kindheit größere Bedeutung bekommen und wo mit dem Verlust vieler Freunde und Genossen durch chronische Krankheit und Tod Gefühle der Einsamkeit stärker werden können.
In der Summe können Gefühle der Ohnmacht und Hilflosigkeit entstehen, die zur Passivität führen. Es ist gut, wenn dagegen immer wieder der objektive Wert der Erfahrungen von Eltern und Großeltern ins Bewußtsein gebracht wird. Als Mittel zur Überwindung der Ohnmacht ist die Pflege der Zugehörigkeit zu Gruppen Gleichgesinnter, die über ähnliche Lebenserfahrungen verfügen, sehr zu empfehlen. Die politische Aktivität kann der Resignation und Vereinzelung wirksam begegnen.