Bärbel Schindler-Saefkow (*1943) – Antifaschismus lebendig weitererzählen

Meine Eltern waren Anton und Aenne Saefkow, die am Arbeiterwiderstand in Berlin beteiligt waren. Anton Saefkow wurde am 18. September 1944 wegen Widerstandes gegen das Hitler-Regime in Brandenburg/Görden hingerichtet, Aenne Saefkow ins Gefängnis und KZ Ravensbrück geworfen. Nach der Befreiung durch die Sowjetarmee engagierte sie sich für den Neuaufbau in Berlin, die Errichtung von Gedenkorten und starb im August 1962, als ich 19 Jahre alt war.

Ich bin mit den Erzählungen meiner Mutter über Widerstand, meinen Vater und viele Freunde aufgewachsen. Oft besuchten uns Mitstreiterinnen und Überlebende des Konzentrationslagers Ravensbrück. Immer wieder kreisten ihre Gespräche um den Kampf gegen das Naziregime und die verschiedensten Einzelschicksale. Noch während ihrer – zuletzt Jahre andauernden − Krankheit bat mich meine Mutter eines Tages, zu einer Berliner Schule zu gehen, die eigentlich sie eingeladen hatte. Ich war 17 und zögerte. Ich befürchtete, mein Wissen reiche nicht aus, um z. B. über die vielen Geheimnisse der illegalen Arbeit etwas zu erzählen. Ich habe es versucht und wurde sehr persönlich. Das wurde angenommen. Hunderte solcher Veranstaltungen habe ich im Verlaufe von etwa 55 Lebensjahren gestaltet. Meine Erzählungen haben sich über viele Jahre verändert, darin fließen meine eigenen politischen Erfahrungen, meine Hoffnungen als Mutter und als Historikerin ein. Und immer mehr der Wunsch zu erklären, was Antifaschismus war und ist. Wenn ich heute mit jungen Menschen über das opfervolle und zugleich erfüllte Leben und den entbehrungsreichen Kampf meiner Eltern spreche, erhalten viele von ihnen erstmals einen Einblick in eine von den Nazis verfolgte Familie. Ich erreiche die Zuhörenden, deren Familiengeschichte überwiegend eine ganz andere ist, meist emotional und versuche trotzdem, den Bezug zu den Verhältnissen in Nazideutschland und den braunen Gefahren in der Gegenwart herzustellen.

Im Jahre 2006 entwickelten Susanne Riveles und Annette Neumann, deren Väter ebenfalls zum Tode verurteilt worden waren, und ich ein Stolpersteinprojekt. Wir wollten diese für ermordete und in der Haft verstorbene Mitstreiter der „Saefkow- Jacob-Bästlein-Organisation“ verlegen lassen. Wir wollten es aber nicht bei den Stolpersteinen belassen, sondern mit einer Ausstellung an den wenig bekannten Widerstand aus der Arbeiterbewegung erinnern und darüber informieren. Über 500 Männer und Frauen: Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Anhänger unterschiedlicher Weltanschauungen, Arbeiter, Angestellte, Ärzte und Künstler waren mit der „Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation“ verbunden. Sie riefen in Flugblättern die Berliner Bevölkerung, Soldaten und Zwangsarbeiter auf, sich für den Sturz Hitlers und die Beendigung des Krieges einzusetzen. Wir recherchierten nach ihren Motiven, ihrem familiären Umfeld und Aktionsformen ihres illegalen Wirkens, den Verbindungen in zahlreiche Betriebe und der Hilfe für Verfolgte.

Für mich begannen Jahre des Suchens und Forschens, in denen ich viel Unbekanntes über die Mitstreiter meines Vaters erfuhr. Es bildete sich ein Kreis von mehr als 40 Angehörigen heraus, die uns mit Fotos und Dokumenten aus Privatbesitz halfen. Die Berliner VVN-BdA unterstützte und begleitete die Erarbeitung der Exposition über eine der größten deutschen Widerstandsorganisationen in der Kriegszeit. Im Sommer 2009 konnten wir die Ausstellung zum Berliner Arbeiterwiderstand 1942−1945 „‘Weg mit Hitler – Schluss mit dem Krieg!‘ − Die Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation“ im Zentrum Berlins eröffnen. Seitdem hat sie als Wanderausstellung Berliner Rathäuser und andere Orte gesehen. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass diese Präsentation im Vergleich zu einer Veranstaltung oder einem Buch tiefere Spuren bei den Menschen hinterlässt. Vor einigen Jahren begannen sich italienische Antifaschisten für die Ausstellung zu interessieren, die inzwischen auch in Genua und Mailand gezeigt wurde. Ihr Anliegen ist es, den in Italien kaum bekannten deutschen Widerstand gegen das Naziregime der italienischen Öffentlichkeit näherzubringen. Dank des Engagements unserer Freunde liegt seit 2015 der Katalog auf Italienisch vor. Sie haben mich nun eingeladen, an der Eröffnung der italienischen Fassung unserer Ausstellung Ende November 2018 in Turin teilzunehmen.

Wir erleben heute, dass über neofaschistische und völkische Pamphlete sowie Rechtsextremismus Rassismus und Antisemitismus in unser tägliches Leben in Deutschland oder auch in Europa Einzug halten. Die Darstellung der Grausamkeiten der Nazis werden Rechtsnationalisten und gewalttätige Rechtsextremisten nicht davon abhalten, ihre menschenverachtenden Theorien zu verkünden. Wir sollten die angegriffene demokratische Gesellschaft verteidigen und dafür breite antifaschistische Bündnisse schmieden. Und unsere Familiengeschichten als Nachkommen aus antifaschistischen Familien mit einbringen, sie können dabei helfen.