Ellen Händler (*1948) – Antifaschismus liegt mir im Blut

Ist entstamme einer jüdischen Familie, die während der Nazizeit mehr als 80 Angehörige verloren hat. Meine Eltern überlebten, weil ihre Eltern sie als Kinder nach England zu völlig fremden Menschen schickten. Den Zurückbleibenden blieb nur die Hoffnung auf Menschlichkeit, dass wenigstens die Kinder überleben. Meine Eltern kehrten als Waisen nach Deutschland zurück, weil sie sich sagten: Die Nazis dürfen es nicht geschafft haben, dass Deutschland judenfrei ist. Sie wollten sich dafür engagieren, dass so ein Genozid nie wieder von deutschem Boden ausgeht.

Ich wuchs also ohne Familie in Deutschland auf. Ich hatte keine Oma und keinen Opa. Die Jugendfreunde meiner Eltern waren meine Tanten und Onkel. Deren Kinder meine Cousins und Cousinen – Freunde fürs Leben. Diese Fürsorge und uneingeschränkte Hilfsbereitschaft Bedürftigen gegenüber lebte meine Mutter und übertrug sie auch auf mich. Mein Vater engagierte sich frühzeitig politisch bei der Suche nach den schuldigen Nazis, beim Aufbau der DDR und deren Propagierung über den Rundfunk in die Welt. Gemeinsam mit meinen Eltern begab ich mich auf Spurensuche über das Schicksal meiner Angehörigen. Immer sprachen wir offen in der Familie, sowohl über die Vergangenheit als auch über die nicht wenigen aktuellen politischen Probleme. So war es auch selbstverständlich, dass ich mich für das Jugendaktiv des Komitees der Widerstandskämpfer interessierte. Natürlich bemerkte ich auch, dass wir in bestimmter Hinsicht privilegiert waren. Ich bekam Schulgeld und Stipendium als Kind von VdN-Kameraden. Meine Eltern kamen einfacher an ein Auto und fuhren öfter zur Kur.

Als Rentner arbeitete mein Vater in der Liga für Völkerfreundschaft, begleitete vor allem viele Amerikaner in der DDR. Nach der Wende wurde mein Vater Generalsekretär des Internationalen Sachsenhausenkomitees. Ich habe ihn oft unterstützt. Gemeinsam sind wir nach Israel gefahren und haben in Yad Vashem die israelische Sektion der ehemaligen Sachsenhausen-Häftlinge gegründet. Der Kalte Krieg hatte auch auf dieser Seite Folgen. Die Israelis durften keine Kontakte in die DDR haben.

Meine Mutter war Fürsorgerin für die VdN-Kameraden und das mit ganzer Seele. Sie kannte das Schicksal aller, half bei großen und kleinen Sorgen. Gemeinsam mit dem Altbürgermeister Walter Sack, dem Vorsitzenden des Kreiskomitees der Widerstandskämpfer organisierte sie ein vielseitiges politisches und Freizeitleben für die Kameraden und ihre Angehörigen.

Antisemitismus habe ich persönlich in der DDR nie erlebt. Ich spürte allerdings die Unsicherheit vieler im Umgang mit Juden. Ich kannte das Schicksal verfolgter Juden in der DDR. Das war bei uns kein Tabu. Nie versteckte ich mich. Ganz im Gegenteil: Ich machte einige auf Nazibegriffe aufmerksam, die ohne nachzudenken noch Allgemeingut meiner Kindheit und Jugend waren. Da denke ich oft noch daran, dass Schüler, Studenten auch Lehrer solche Begriffe aus der „Sprache des 3. Reiches“ verwandten, wenn sie sagten: „Ich kann das bis zur Vergasung nicht mehr hören“. Immer waren sie völlig erstaunt oder entsetzt, als ich sie auf das Gesprochene aufmerksam machte.

Als dann die Wende kam und die ersten Nazischmierereien am Sowjetischen Ehrenmal in Treptow entdeckt wurden, gehörten wir zu den Mitorganisatoren der großen Demo dagegen. Da entstand aus Sorge vor dem Wiederaufflammen der Naziideologie und der Angst vor dem Vergessen, die Idee, in Treptow „antifa-Treptow“ zu gründen. Hier sollte erinnert, bewahrt und geforscht werden, sollten weiße Flecken des Antifaschismus aufgedeckt und bearbeitet werden. Wir wollten mit Lehrern und Schülern gemeinsam an dem antifaschistischen Erbe arbeiten. Ich wurde mit meinem Vater 1990 in den ersten Vorstand gewählt. In den ersten Jahren fanden wöchentlich politische Veranstaltungen statt, konnten wir viele Ausstellungen durchführen. Bis 2005 hatten wir insgesamt 49 Mitarbeiter als ABM in unterschiedlichsten Projekten beschäftigt. Wir haben die Zwangsarbeiterlager Treptows erforscht, haben das Leben der Juden in unserem Bezirk untersucht, haben gemeinsam mit Schülern und Lehrern viele Projekte durchgeführt und über 70 Stolpersteine verlegt.

Nun sind wir auch in die Jahre gekommen. Leider finden wir nicht genügend jüngere Mitstreiter. Aber monatlich sind unsere Veranstaltungen nach wie vor sehr interessant. Besonders stolz sind wir, dass wir für die ganze Stadt jährlich zwei Veranstaltungen mit Unterstützung des Bezirksamtes organisieren: Das ist anlässlich des 8. Mai die Gedenkveranstaltung zum Tag der Befreiung an der Mutter Heimat im Sowjetischen Ehrenmal und zum 9. November, dem Tag, an dem die Pogrome in Deutschland begannen, die Matinee im Rathaus Treptow.

Wir haben es geschafft, was keiner zur Gründung des Vereins 1990 dachte: Der Bund der Antifaschisten Treptow e.V. lebt nach 28 Jahren noch, ist aktiv und engagiert sich für Antifaschismus, gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, und das im Bündnis mit vielen Gleichgesinnten.