Jan Kordt (*1955) – Gedenken und Erinnerung lebendig halten

Im Sommer 1966 begleitete ich meinen Vater Erich Kordt für ein paar Tage nach Berlin. Wir flogen von Düsseldorf nach Tempelhof, für mich war es mein erster Besuch in Berlin und auch mein erster Flug. Erich hielt einen Vortrag im Rahmen eines internationalen Seminars in der Borsigvilla in Tegel. Ich war knapp 11 Jahre alt, verstand von dem Ganzen kaum etwas, bewunderte aber die SimultandolmetscherInnen, in deren Kabine ich mich aufhalten durfte. Auf dem Rückweg zu Charlotte Reimann, einer engen Freundin meines Vaters, bei der wir wohnten, fuhr Erich mit mir nach Plötzensee und zeigte mir den Hinrichtungsschuppen. Die Erschütterung, die dieser Ort bei meinem Vater auslöste, traf mich damals sehr. Ich versuchte ihm nah zu sein und ihn durch mein Dasein zu bestärken und zu trösten. Diesen ersten Besuch der Gedenkstätte werde ich nicht vergessen. Er steht am Anfang meiner Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der Überzeugung, dass wir in unserem Land für Meinungsfreiheit, Demokratie und Gerechtigkeit streiten und jeglicher Form von Nationalismus, Hass und Rassismus entgegentreten müssen.

Mein Onkel Theo Kordt war 1922 ins auswärtige Amt eingetreten, mein Vater Erich 1928. Nach Stationen in Genf, Bern und London wurde mein Vater 1938 „Chef des Ministerbüros“ des zum Außenminister ernannten Joachim von Ribbentrop. Theo Kordt war 1938 an der Deutschen Botschaft in London tätig. Erich und Theo beteiligten sich im Sommer 1938 an den Versuchen deutscher Oppositioneller, die britische Regierung zu bewegen, in der von Hitlerdeutschland inszenierten Sudetenkrise nicht nachzugeben, sondern zu erklären, dass die völkerrechtswidrige Annektion der Sudetengebiete zwangsläufig zum Krieg führe. Hitlers Ansehen sollte in der deutschen Bevölkerung und beim Militär durch die heraufziehende Kriegsgefahr geschwächt und damit ein Umsturz ermöglicht werden. Der Plan misslang, das Münchner Abkommen wurde geschlossen. In der trügerischen Hoffnung, den Frieden dauerhaft zu sichern wurde die Tschechoslowakei preisgegeben.

Als nach dem deutschen Überfall auf Polen 1939 zunächst keine Kriegshandlungen Englands und Frankreichs folgten, ergab sich für die Gruppe um Hans Oster, in der Militärs und Zivilisten zusammenarbeiteten und der auch mein Vater angehörte, im November 1939 eine weitere Möglichkeit, das Hitlerregime zu stürzen. Ein Bombenattentat wurde vorbereitet, das am 11.11.1939 durch meinen Vater ausgeführt werden sollte. Das Vorhaben wurde nach dem Attentat des mutigen Georg Elser am 9.11.1939, das Oster und seine Gruppe völlig überraschte und das sie irrtümlich für eine Inszenierung der Gestapo hielten, abgebrochen. Das Scheitern der Versuche und die folgenden riesigen Erfolge der Wehrmacht im Sommer 1940 haben viele Oppositionelle und auch meinen Vater schwer belastet. Der fundamentale Gegensatz der Überzeugungen, die Kenntnis der stattfindenden und der geplanten Verbrechen im Krieg, gegen die jüdische Bevölkerung, gegen Minderheiten und Andersdenkende und gleichzeitig die Erkenntnis, dass aufgrund der militärischen Erfolge die Chance für einen erfolgreichen Umsturz für lange Zeit verpasst war, machte die Nähe zu Ribbentrop für meinen Vater unerträglich und gefährlich. Er hat dennoch zu keinem Zeitpunkt daran gezweifelt, dass der Faschismus am Ende besiegt werden würde. Er wäre wohl nicht im April 1941 nach Japan gegangen, wenn es für ihn eine andere Möglichkeit gegeben hätte. Nach längerem Zögern hat er die Versetzung angenommen und nach der Entlassung des Botschafters Eugen Ott im Zuge der Affaire um Richard Sorge 1943 auch die Versetzung nach Nanking und Shanghai. Anfang 1946 kehrte mein Vater über die USA nach Deutschland zurück.

Dass mein Vater sich bereits von 1933 an keinerlei Illusionen über die verbrecherische Natur der Nazidiktatur machte und zu ihren entschlossenen Gegnern gehörte, ist vielfach bestritten worden. Das focht ihn wenig an. Es war ihm klar, dass der Vorwurf des Opportunismus erhoben und die Darstellung seiner eigenen Aktivitäten in Opposition und Widerstand in Zweifel gezogen würden. Posthum sind weitere Anschuldigungen hinzugekommen: So sollen Erich und Theo im Wihelmstraßenprozeß zugunsten von Ernst von Weizsäcker gelogen haben, zudem seien die Gebrüder Kordt nach dem Krieg maßgeblich an der Legendenbildung des auswärtigen Amts als „Hort des Widerstand“ beteiligt gewesen.

Diese Vorwürfe, die ich für falsch halte und die für mich und die Nachfahren von Erich und Theo schmerzhaft sind, stellen für mich auch ein persönliches Motiv dar, mich an Initiativen, Seminaren und Veranstaltungen wie dieser zu beteiligen. Ich finde es gut, Menschen aus anderen Familien kennenzulernen, deren Vorfahren aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Hintergründen heraus den Nationalsozialismus bekämpft haben. Dabei gilt es, auch neue Formen zu finden, das Gedenken lebendig zu halten, jetzt wo die Nachfolgegenerationen immer älter werden. Zudem stehen wir vor großen Herausforderungen, da überall in Europa, den USA und eigentlich der ganzen Welt rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien immer stärker werden und ihre fremdenfeindlichen, rassistischen, völkischen und antisemitischen Positionen immer lauter vertreten und verbreiten. Gern will ich mich beteiligen, der Schlußstrich-Mentalität und „Vogelschiß“ Rhetorik entgegenzutreten, demokratische Traditionen unterstützen, Meinungsfreiheit und menschliche Würde gegen Angstmache und Hetze stellen.

Wenn ich gefragt werde, was ich von meinem Vater Erich gelernt und vielleicht übernommen habe, dann ist es vor allem das Interesse an Anderen. Seinen Mut und seinen Glauben an die Möglichkeit der Völkerfreundschaft bewundere ich. Zudem Hoffnung und Wunsch, dass man in seinem Leben auch im Scheitern seine Würde bewahren kann. Außerdem teile ich mit ihm die Freude an den Gedichten und Schriften des für meinen Vater berühmtesten und besten Sohn Düsseldorfs, Heinrich Heine.