Sonja Kosche – Antiziganismus (noch immer) ganz normal?

Meine Vorfahren kamen von überall her, waren auch Roma, Sinti und Schausteller. Wenn ich das heute erzähle, sehen Menschen mich anders an, ist es wie ein “Outing”.

Ich wurde hier in erster Generation geboren, mein Vater im Balkan, meine Oma kam aus Rumänien. Sie sagte „Zigeuner“. Ich nicht mehr. Sie sagte es liebevoll und kannte es nicht anders, andere sagten es, wenn ich schmutzig nach Hause kam oder gar nicht.

Wenn in den 1970er Jahren so Benannte kamen, in Wohnwagen, warnten sich die Nachbarn und ließen die Jalousien herunter, als seien die Menschen gefährlich.

Seit dem Holocaust sollte es niemand mehr sagen, der nicht von dieser Entwertung betroffen ist. Es kommt von griechisch athinganoi und bedeutete „unberührbar“ zu sein, war immer eine abwertende Fremdbezeichnung und stand schon im 13. Jhd. für „asoziale Elemente“, es transportiert automatisch abwertende Bilder mit.

Die Herkunft nach Generationen ist heute überall Thema. Wer nicht in 3. Generation hier geboren wurde, wird für nicht wirklich deutsch erklärt.

Im Bundestag sitzt eine rassistische Partei deren Mitglieder dafür einstehen, und dass man “Zigeuner” sagen darf. So entwertete Menschen sollten als “unwertes Leben” ausgerottet werden, Hunderttausende wurden aus rassistischen Gründen systematisch ermordet, was erst 1982 so anerkannt wurde.

Meine Großmütter erzählten mir früher viel vom Krieg, eine wuchs in einer Schaustellerfamilie auf. Wegen angeblich “zigeunerischer Lebensweise“ wären sie verfolgt worden, so verbargen sie es bis zum Schluss nach außen. Ich hörte viel von Hunger und dass mein Vater nicht in die Schule durfte, weil er keine Schuhe hatte. Wenn ich heute Menschen betteln sehe, gegen die gehetzt wird, erinnere ich mich und versuche ihnen, denen keiner zuhört, eine Stimme zu geben. Rassismus schließt viele Roma und andere als „Z“ diffamierte systematisch aus der Gesellschaft vieler Länder Europas aus.

Stereotypsierend abwertende “Zigeunerbilder” werden vielfach transportiert. Roma werden als “Armutsflüchtlinge”, “Sozialbetrüger”, “fahrendes Volk” oder “Rotationseuropäer” diffamiert. Ich beschäftige mich mit Medienmonitoring und las, “Zigeuner” hätten ganze Dörfer verflucht, das löse immer wieder Großbrände aus, sie klauten Wäsche und Kinder; das wird heute leider wie vor 100 Jahren verbreitet.

In einem Kinderfilm der in Schulen gezeigt wird, entführen Roma ein Kind und kommen ausschließlich negativ und entwürdigend vor, wie in unzähligen Presseberichten und Dokumentationen. Hass schürende Kommentare werden stehengelassen. Man müsse uns besser ausrotten und Hitlers Werk vollenden, las ich und zitterte, frage mich ob es keine gleichen Menschenrechte für Roma gibt.

Ich halte dagegen und dokumentiere den Hass für verschiedene NGOs, mache immer wieder darauf aufmerksam. Im Internet habe ich eine Gruppe gegründet und mich in einem Bündnis vernetzt. Wir mischen uns ein, stehen aber oft alleine da. Viele erkennen Antiziganismus leider nicht. Mit Faschisten diskutiere ich nicht.

Volksverhetzung und Holocaustrelativierung wird oft nicht als solche anerkannt. Ich zeigte z. B. Herrn Tillschneider von der AFD an, der nach “einem Zigeunerproblem” hier fragte. Das wäre freie Meinungsäußerung erwiderte das Gericht.

Häufig wird von nicht Betroffenen nur expliziter Rassismus erkannt. Roma Nomadentum zu unterstellen, finden viele normal. Im Dritten Reich führte man das direkt auf die „Rasse“ zurück, das kann man auch heute noch überall lesen.

Es setzt sich immer mehr Menschenfeindlichkeit durch. Europa rückt nach rechts. Wirklich sichere Herkunftsländer gibt es für Roma nicht und ich versuche politisch etwas zu verändern. In Plauen brannten drei Häuser mit Roma, die Nachbarn halfen nicht, sie behinderten Lösch- und Rettungsarbeiten, riefen “Sieg Heil” und “Lasst sie brennen”. Ein Aufschrei blieb aus. Mitten in Berlin wurde auf ein Roma-Mädchen geschossen, ein Bericht darüber wurde mit überfüllten Mülltonnen bebildert und geschrieben, dass die Roma zu laut wären und zu viel Müll machten. In Italien wurde auf ein Baby geschossen, auf zwei Kinder, die zu laut gewesen wären. In der Ukraine wurde Menschen die Bleibe zerstört, Roma ermordet. In Schweden wurde ein Rom von Jugendlichen vor laufender Kamera misshandelt und ermordet. Auf all diese Vorfälle kamen kaum Reaktionen. Die Stille erschreckt mich.

Die Studie Neue Mitte zeigte, dass knapp 60 % der Menschen hier offen Sinti und Roma ablehnen, für kriminell halten und nicht hier haben wollen, die Dunkelziffer ist deutlich höher. Egal wo wir kommentieren, haben wir schnell viele gegen uns.

Wer sich selbst „Z“ nennt, dem wird applaudiert und es wird gern in Zitate eingefügt. “Z” hat sich Europa selbst erschaffen und will nicht von ihnen lassen. Die alten Märchen halten sich hartnäckig und sind ein Konstrukt der Mehrheit, sie lassen die Privilegierten sich besser fühlen. Die Deutungshoheit darüber, was rassistisch ist, beanspruchen diese stets für sich und allein darüber bestimmen zu dürfen. Täter-Opfer-Umkehr wird betrieben. Ich rufe auf: sagt nein.