Saskia von Brockdorff (*1937) – Meine Mutter Erika von Brockdorff

Meine Mutter Erika von Brockdorff wurde vom Reichskriegsgericht wegen ihrer Zugehörigkeit zu der Widerstandsgruppierung Rote Kapelle zum Tode verurteilt und am 13. Mai 1943 in Plötzensee ermordet.

Als mein Vater Ende 1945 aus der englischen Kriegsgefangenschaft nach Hause kam, war ich natürlich sehr glücklich, wenigstens einen Vater zu haben. Da ich erst 1945 von der Ermordung meiner Mutter erfahren hatte, stellte ich ihm viele Fragen, über meine Mutter und ihr Wirken in dem Widerstandskreis erfuhr ich von ihm gar nichts. Er wollte wohl unter die Vergangenheit den berühmten Schlussstrich ziehen. Einstweilen war er wohl auch damit beschäftigt, sein ziviles Leben wieder aufzubauen. Wir zogen recht schnell in den östlichen Sektor Berlins, wo beide, mein Vater und meine neue Stiefmutter Eva Lippold, arbeiteten. Ich kam erst mal in Kinderheime und 1949 in ein Internat nach Thüringen. Ich empfand mich als ungeliebt und abgeschoben.

Als ich dann endlich 1951 bei meinen Eltern am Stadtrand von Berlin leben „durfte“, fragte ich meinen Vater einmal, warum meine Mutter ermordet worden war. Er gab mir die lapidare Antwort, dass die Überlebenden der Roten Kapelle den „sowjetischen Genossen“ versprochen hätten, über ihren Widerstand zu schweigen, denn der Kampf sei noch nicht zu Ende. Mehr konnte ich von ihm nicht erfahren und das verunsicherte mich sehr. Auch die Fotos von ihr versteckte er. Ich fand sie später zufällig und musste sie mir heimlich „klauen“.

In Berlin-Pankow besuchte ich die Wilhelm-Pieck-Schule und hier begann es, dass mir bei jedem Fehler oder unerwünschtem Verhalten meine Mutter vorgehalten und mir auch immer wieder gesagt wurde, ich würde mich ihrer nicht würdig erweisen. Das ging eigentlich bis zu meinen Abitur, bis ich eines Tages davon genug hatte und meinem Vater erklärte, ich wolle nicht mehr nur die Tochter von Erika von Brockdorff, sondern ich selbst sein. Gleichzeitig wurde auch immer wieder betont, dass die Widerstandsgruppe Schulze-Boysen-Harnack – dies war die parteioffizielle Bezeichnung – unter Leitung der KPD agiert habe. Der Abschiedsbrief meiner Mutter an meinen Vater wurde immer mal wieder veröffentlicht, allerdings nur die dem Regime passenden Passagen. Ich kam in dem Brief gar nicht vor und das kränkte mich zusätzlich. Ich lernte einen Peruaner kennen und „durfte“ nach einem längeren Nervenkrieg die DDR verlassen. Das empfand mein Vater, zu dem ich kaum noch Kontakt hatte, als Verrat.

In Peru und später in der Bundesrepublik sprach mich niemand auf meine Mutter an und wir waren auch einfach damit beschäftigt, unser Leben dort neu zu organisieren. Sowieso wurde die Rote Kapelle in der BRD als sowjetische Agentengruppe diffamiert. Erst nach 1989 gab es die Möglichkeit, in russischen und anderen Archiven nach Informationen über die Rote Kapelle zu forschen. Diese neuen Erkenntnisse wurden auf zwei wichtigen Konferenzen vorgestellt. In der begleitenden Ausstellung sah ich Fotos von mir und meiner Mutter, die ich nicht kannte. Auf Nachfrage bei dem Leiter der Gedenkstätte Professor Tuchel erhielt ich die Auskunft, dass dort im Archiv sehr viel Material über meine Mutter vorhanden sei.

Bei Durchsicht der Materialien gewann ich ein neues anderes Bild meiner Mutter und fand darin auch den Abschiedsbrief meiner Mutter an mich. Das war 2006, also nach 63 Jahren! Der Brief war in der Haft als Kassiber an Ina Lautenschläger gegangen, die überlebt hatte. Für mich waren die Zeilen meiner Mutter ein großes Erlebnis und eine große Freude. Ich war sehr gerührt mit welcher Liebe und Sorge meine Mutter noch am Ende ihres Lebens an mich gedacht hatte und wie viel gute Wünsche sie mir auf den Weg gab.

Ich hatte mich schon vorher bei der Zeitzeugenbörse Berlin vorgestellt, aber nun konnte ich mit viel mehr Elan und auch Herzblut über meine Mutter berichten. Seit nunmehr 12 Jahren spreche ich vor Schülern in Berlin und an anderen Orten in Deutschland, vor deutschen und ausländischen Schülern und Schülergruppen, amerikanischen Touristen und in einem Erzählcafé über meine Mutter und die Rote Kapelle.

Sogar ein Theaterstück wurde von Schülern und uns Zeitzeugen erarbeitet und mehrere Male im Theater an der Parkaue aufgeführt. Dabei wurde der Abschiedsbrief meiner Mutter an mich verlesen. Dieser Brief war immer der Höhepunkt der Veranstaltung. Ich ließ ihn von einer Teilnehmerin oder meiner Übersetzerin vorlesen. Er zeigt meine Mutter sehr anschaulich als eine zutiefst liebende und besorgte Frau.

Jedes Mal treffe ich auf sehr berührte und respektvolle Zuhörer der Veranstaltung und freue mich sehr über diese Reaktion. Schüler sagten mir, dass sie davon viel mehr mitnehmen würden als aus den Geschichtsbüchern. Ich habe mir die Aufklärung und Information über den Widerstand der Roten Kapelle zur Altersaufgabe gemacht. Unnötig zu sagen, dass mir diese Arbeit in all den Jahren dabei geholfen hat, den Schmerz über den Verlust meiner Mutter auf kreative Art zu verarbeiten.

Rita Bock (*1948) – Auf den Spuren meiner Großmutter

Meine Großmutter, Nanette Isner wurde am 17.9.1879 in Nürnberg geboren. Sie hat sieben Kinder großgezogen, die Jüngste war meine Mutter. Mein Großvater Julius Isner war zuletzt Synagogendiener. Er starb bereits 1926, als meine Mutter neun Jahre alt war. Ich weiß leider nicht viel über meine Großmutter. Nur dass sie sehr musikalisch war. Sie spielte gern Klavier. Einmal war sie so in ihr Spiel vertieft, dass sie vergaß, für die Kinder das Mittagessen zu kochen. Sie schickte dann eines der Kinder zum Bäcker und es gab zum Mittag Streuselkuchen.

Meiner Mutter sowie zwei Schwestern und zwei Brüder gelang es noch vor Beginn des zweiten Weltkriegs zu emigrieren. Meine Mutter arbeitete zuerst als Hausangestellte in England und fand dort später Anschluss an die Freie Deutsche Jugend, eine Organisation, die zunächst von Jugendlichen verschiedener antifaschistischer Exilgruppen gegründet wurde. Später wurden aber auch viele Jugendliche Mitglied, die mit dem Kindertransport nach Großbritannien gekommen waren. Bei der Arbeit in der FDJ lernte meine Mutter auch meinen Vater kennen, der als Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes schon 1933 aus Deutschland emigrieren musste.

Meine Großmutter, wie auch die beiden ältesten Geschwister meiner Mutter, schafften es nicht mehr, Deutschland zu verlassen. So wurde meine Großmutter am 29. November 1941 in das Ghetto Riga deportiert und am 5. Februar 1942 dort ermordet. Erst vor einigen Jahren erfuhr ich aus den Unterlagen eines Bruders meiner Mutter, wie viele Personen aus meiner Familie während des Holocaust ermordet wurden. Mein Onkel Hans schrieb 1947: Im Dezember 1941 wurden meine noch in Nürnberg lebenden Angehörigen (Mutter, ein Bruder, eine Schwester, ein Schwager, zwei Onkel, drei Tanten) in ein Vernichtungslager nach Polen abtransportiert und sind seitdem verschwunden. Ein Vetter, ein Onkel, zwei Tanten und zwei Kusinen sind durch Aktionen der Nazis ebenfalls umgekommen.“

Schon lange hatte ich mir vorgenommen, die Stadt Riga zu besuchen, um Näheres über den Tod meiner Großmutter zu erfahren. So entschloss ich mich, im März 2014 mit einer Gruppe von Antifaschisten nach Riga zu fahren. Der Anlass war, dass seit 1991 Jedes Jahr am 16. März in Riga der sogenannte „Tag der Legionäre“ begangen wird. Seit 1991 werden an diesem Tag ein Gottesdienst, ein Ehrenmarsch und eine fahnengesäumte Kundgebung am Freiheitsdenkmal zu Ehren der lettischen Einheiten der Waffen-SS abgehalten. Daran nahmen auch auch Abgeordnete des lettischen Parlamentes und Minister der Regierung teil.

Die lettische Legion, die jährlich am 16. März geehrt wird, hatte Hitler Treue zu schwören und wurde ein Einsätzen zur Durchführung von Massenmorden an der Zivilbevölkerung in Lettland, Russland und Belarus beteiligt. Die Einheiten wurden zur Überwachung des KZ Salaspils Bei Riga und zu Massenerschießungen im Wald von Bikernieki eingesetzt. Zahlreiche Angehörige dieser „Legionen“ waren schon vor ihrem Eintritt in die Waffen-SS am Massenmord an den lettischen Juden beteiligt. Für mich ist es unerträglich, dass dort Menschen geehrt werden, die vermutlich auch an der Ermordung meiner Großmutter beteiligt waren. Deshalb war es mir wichtig, dagegen vor Ort zu protestieren und auch die lettischen Antifaschisten bei ihrem Protest zu unterstützen. Wir wurden damals vom lettischen Staat sehr unfreundlich empfangen. Schon an der Grenze, die ja eigentlich EU-Binnengrenze ist, stoppte die Polizei unseren Bus und kontrollierte stundenlang unsere Ausweise. Kurz vor Riga wurden wir noch einmal gestoppt und der Bus eingehend untersucht. So kamen wir erst mehrere Stunden später als geplant in Riga an.

Am nächsten Tag sahen wir einen langen Zug von etwa 1500 Demonstranten aller Generationen. Es stimmte mich traurig zu sehen, dass auch viele junge Menschen in Lettland mitmarschierten, die anscheinend sehr wenig über die tatsächlichen Vorgänge in Lettland im Zweiten Weltkrieg wissen. Angenehm war es jedoch zu spüren, dass unser Protest damals auch Zustimmung erfuhr. Besonders erinnere ich mich an eine alte russische Frau die auf uns zukam und auf Russisch spassibo – danke sagte.

Unsere Anwesenheit, unsere Transparente, Fahnen und Plakate haben großes Aufsehen erregt. Zustimmung und Ablehnung begegneten uns. Aber auch viel Interesse, woher wir kamen und warum wir gekommen sind. Wir haben ein sichtbares Zeichen für ein antifaschistisches Europa gesetzt. Es Die in Riga demonstrierte Erinnerungskultur, in der die Täter von einst zu Opfern von heute werden, gehört nicht dazu. Dies sollte auch die Europäische Kommission und das Europäische Parlament endlich zur Kenntnis und zum Anlass nehmen, sich von dieser Art von Erinnerungskultur eindeutig zu distanzieren. Stattdessen feierte sich im Jahre 2014 die lettische Metropole als Kulturhauptstadt Europas. Mit sechs Jahren Vorlaufzeit hatte ein europäisches Expertengremium den Titel vergeben.

Rita Bock, geboren 1948 in Berlin, studierte Mathematik in Leningrad, arbeitete als Programmiererin.

Anne Allex (*1958) – Großmutters Wege ab 1933 und im Krieg

Meine Großmutter Gertrud wurde als älteste von zehn Kindern 1904 in Zinnowitz geboren. Ihre Mutter betrieb eine Pension, ihr Vater war selbständiger Ofensetzer. Demzufolge musste meine Großmutter aktiv bei der Aufzucht ihrer Geschwister helfen.

Trude heiratete im Jahr 1922 Hans Schmidt und ging mit ihm nach Berlin. Die Ehe zerbrach nach zwei Jahren. Großmutter war selbständige Näherin. Sie nähte Festtagsbekleidung für Juden und hat später oft davon erzählt, wie schwer ihr einzelne Kleidungsstücke fielen. Die Juden waren es auch, die ihr Zugang zu ihren Ärzten verschafften und immer mal für ihr Kind Obst und Gemüse mitgaben.

Ende 1936 waren viele Juden wegen des um sich greifenden Rassismus bereits in die USA oder nach Palästina ausgereist. Andere verarmten und hatten nicht mehr das Geld, Aufträge an sie zu vergeben. Auf diese Weise fielen ihr nach und nach die Auftraggeber weg. Daher war sie im November 1936 erwerbslos. Das galt als „asozial“. Deswegen wurde sie vom Arbeitsamt dienstverpflichtet zur Zwangsarbeit bei OSRAM, Oudenarder Straße, am Band.

Sie berichtete von Aktivitäten bis 1939. Zu dieser Zeit ging es weniger um aktive Parteiarbeit, als mehr um den Informationsaustausch. Wer ist nach dem Zuchthaus Spitzel? Wem kann man noch trauen? Wem kann man sich mit Selbsthilfeaktivitäten anvertrauen? Wohin wurden welche Genoss*innen deportiert? Wie kann Hilfe für die Familien aussehen?

Es gab persönliche Fragen, die sie nie beantwortete: Weshalb oder um wen weinte sie? Von wem waren die sechs Kinder, die sie verlor? Warum trug sie den Vater der zweiten Tochter nicht auf der Geburtsurkunde ein? Wie hieß der jüdische Arzt, der ihr half? Wohin war sie umgezogen?

Als Enkelin verstand ich erst viel später nach ihrem Tode, welchen Nachstellungen sie ausgesetzt war. Als Kind dachte ich, sie erzähle Horrormärchen. Dadurch lernte ich aber, dass im deutschen Faschismus gerade Arbeiter*innen mehrfachen Verfolgungsgründen ausgesetzt sein konnten.

Erst zwei Jahre nach ihrem Tod am 4.4.1995 lernte ich, dass es bei Hitler so genannte Asoziale gab. Zehn Jahre später begann ich mich mit diesem heterogenen Personenkreis und den „Kriminellen“ zu befassen. Meine Forschungen zu den Armen und den Ursachen ihrer Armut erstreckten sich bis ins Mittelalter. Ich entdeckte, woher und von wem der Begriff „Asoziale“ kam, dass Arme zu jeder Zeit das Arbeitshaus drohte, dass es bei der Verfolgung von Armen keine Stunde Null gab und ihnen stets unterstellt wurde, sie seien arbeitsscheu. Ich begann mich näher mit „wirtschaftlicher Not“ im deutschen Faschismus zu befassen und stellte fest, dass der Umgang mit armen Menschen besonders verbrecherisch war. Wurden sie verhaftet, kamen sie ins Arbeitshaus, wo Anträge auf Zwangssterilisierung für sie gestellt wurden. Dann kamen sie ins Zuchthaus und später ins KZ. Ihre Kinder wurden Fürsorgeheimen übergeben und erhielten dort keine Bildung, sondern wurden gezüchtigt. Im Krieg galten bei den Nazis sogar solidarische Handlungen, wie dem Zwangsarbeiter ein Brot über den Zaun zu werfen, als „asozial“. Die Betreffenden erhielten ein Jahr verschärftes Arbeitslager. Ich habe zu diesem Thema zwei Sammelbände publiziert, die europaweit vertrieben werden. Das kostete viel Kraft, Zeit und Geld, denn bis heute sind diese Personenkreise in der Gesellschaft verfemt.

Vor einem Jahr wechselte ich das Thema. Ich forsche zur Zwangsarbeit der als Juden verfolgten Berliner Bürger*innen. Ich mache die privaten Unternehmen ausfindig, in denen die Juden als Zwangsarbeiter*innen eingesetzt waren. Das ist zwar eine mühevolle, aber auch sehr lohnenswerte Aufgabe. Ich fand eine Fülle von Unternehmen, von denen bis heute Folgeunternehmen existieren. Aber keines dieser Unternehmen hat in den Zwangsarbeiterfonds für deren Entschädigung eingezahlt. Bei dieser Arbeit sah ich auch, wie sehr die tatsächlichen Einsätze dieser gelernten Facharbeiter von den bloßen Wünschen der Faschisten abwichen: Kinder ab 10 Jahren und alte Leute bis 74 Jahre wurden zur Zwangsarbeit eingesetzt, Kolonnenarbeit existierte nicht überall. In einigen Unternehmen waren nur einzelne Jüdinnen bis zur Fabrikaktion eingesetzt. Es gibt noch weitere Abweichungen. Vom 17.10.−30.10.2018 führte ich eine erste, gut besuchte Ausstellung zum Thema „Zwangsarbeit der als Juden verfolgten Berliner Bürger*innen in privaten Unternehmen in Friedrichshain und Kreuzberg“ in der ehemaligen jüdischen Hutfabrik der Familie Gattel im Wedding durch. Das Besondere war: Die Ausstellung fand dort statt, wo sich abends im Speisesaal viele junge Migrant*innen aufhielten, die neugierig wissen wollten, was denn auf den Tafeln steht.

Ich bin Mitglied in BRAIN e.V., extramural e.V. und Gedenkort Fontanepromenade 15 e.V. Ich arbeite in der Berliner VVN-BdA e.V. mit. Ich werde jedes Jahr mindestens einmal von Jugendlichen, Schulklassen oder jungen Antifas eingeladen.

Intergenerationale Tradierung von Familienaufträgen

Intergenerationale Tradierung von Familienaufträgen über drei Generationen und deren Bedeutung für das Engagement in politischer Bildung und Gedenkstättenarbeit (Okt.2018)

Der Fokus hier liegt auf Familien, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden bzw. im Widerstand waren. Ausgangspunkt ist die Frage, wie die Reflexion nach innen (die Hinterbühne zur Familiengeschichte) gut gelingen kann, so dass die pädagogische Arbeit nach außen (Vorderbühne) erfolgreich wird.

Tradierung wird definiert als allgemeiner Oberbegriff für Übermittlung bzw. Weitergabe latent-unbewusster und kommunikativer Handlungsweisen im sozialhistorischen Kontext und als transgenerationeller Interaktionsprozess. Es geht darum, was weitergegeben wird und wie es angenommen bzw. verändert wird.Je fragmentarischer die Familiengeschichte übermittelt und verstanden wird, desto nachhaltiger wirkt sie in Form von Delegationen in den biographischen Handlungsmustern der nachgeborenen Generationen weiter. Sie können als Re-Akteure ihrer Familiengeschichte verstanden werden.

Bar-On/Gilad (1992)2 beschreiben drei Arten intergenerationeller Wirkfaktoren: 1. die „erzählten“ Geschichten, 2. das konkrete Verhalten der Eltern und 3. die „nicht-erzählten“ Geschichten. Es sind gerade diese verschwiegenen Geschichten, die als etwas Abwesendes massiv präsent sind und damit die stärkste intergenerationale Wirkung haben. Schon Freud schrieb vor fast einhundert Jahren: „Das Problem erschiene noch schwieriger, wenn wir zugestehen könnten, daß es seelische Regungen gibt, welche so spur-los unterdrückt werden können, daß sie keine Resterscheinungen zurücklassen. Allein, es gibt sie nicht. Die stärkste Unterdrückung muß Raum lassen für entstellte Ersatzregungen und aus ihnen folgende Reaktionen. Dann dürfen wir aber annehmen, daß keine Generation imstande ist, bedeutsamere seelische Vorgänge vor der nächsten zu verbergen.“3 Er prägte dafür den Begriff der „Erinnerungsspuren“.

Die zwei Ebenen der Tradierung sind also die manifeste Familiengeschichte – und die latente der Familienaufträge. In erster Linie sind Familienaufträge, die ich auch als Delegationen bezeichne, intergenerationale Übertragungen, die unbewusst biographische Handlungsweisen aus dem ‚Familienprogramm‘ erzeugen. Sie können auch Generationen ‚überspringen‘, wirken latent weiter und werden dann von nachfolgenden Generationen4 bearbeitet. Ein Familienauftrag muss nicht zwangsläufig unbewusst sein, sondern kann auch als solcher von Familienmitgliedern kommuniziert werden. Entscheidend ist, dass die Qualität (Ausführlichkeit, Emotionen, Inhalte) der manifest tradierten Familiengeschichte die Art und Weise der Familienaufträge an die nachfolgenden Generationen bestimmt.

Bestimmend für Tradierungen sind folgende Aspekte:

  • Gibt es offene oder keine offenen Gespräche aller drei oder vier Generationen über die Familienvergangenheit? Oder gibt es nur Interaktionen zwischen einzelnen Familienmitgliedern unterschiedlicher Generationen (auch weil Familienmitglieder den NS nicht überlebten)?
  • Gibt es ein Familiengedächtnis, an dem alle Mitglieder partizipieren/sich identifizieren? Maurice Halbwachs hat das „Familiengedächtnis“ nicht definiert als starres Gebilde, denn es impliziert Bedeutungs-verschiebungen, die die nachfolgenden Generationen vornehmen.
  • Die Frauen und Männer der ersten Generation sind ‚Gatekeeper‘, aber an der Bedeutungskonstruktion der Familiengeschichte wirken die nachfolgenden Generationen aktiv mit, z.B. an Sinngebungen biografischer Verläufe.
  • Motive des Nicht-Erzählens sind die Kinder/Enkelkinder vor traumatischen oder/und schambesetzen Erlebnissen zu schützen;5
  • Weil sich Erinnerung und Kommunikation gegenseitig bedingen und vom sozialen Milieu, der jeweiligen Generation und vom Geschlecht mitbestimmt werden, stellt sich immer die Frage, was und mit welcher Funktion von wem erzählt bzw. nicht erzählt wird.6
  • Je konkreter über die Familiengeschichte kommuniziert wird, desto expliziter werden Familienaufträge von den Nachgeborenen thematisiert bzw. sind sie in der Lage ihre Handlungsweisen im familiengeschichtlichen Kontext zu reflektieren.
  • Zu den konkreten Familiengeschichten befragt, bezieht sich die dritte Generation sehr häufig auf Gespräche mit der Großelterngeneration.
  • „Generationenambivalenz“ (Lüscher): das sind Ambivalenzen, Konflikte und Polaritäten, wenn sie „zu einem bestimmten Zeitpunkt oder während eines Zeitraums als prinzipiell unauflösbar interpretiert werden“. Es sind „Polarisierungen des Fühlens, des Denkens, des Handelns“ die auch durch die in „gesellschaftlichen Strukturen und Prozessen auftretenden Polarisierungen“ die familialen Generationen beeinflussen können7;
  • Auch familiäre/gesellschaftliche Tabuthemen mischen oder überlagern das ‚politische Familiengedächtnis‘, wie beispielsweise Missbrauch oder unausgetragene Konflikte zwischen Kindern und Eltern, patriarchale Strukturen; Opfer- und Täteranteile in einer Person oder in unterschiedlichen Familienmitgliedern;
  • Die Berufs- und Partnerwahl steht im Zusammenhang mit den Familienaufträgen.

Als Ort der Primärsozialisation werden in der „Familie“ (meint enge Bindungspersonen, mit denen das Kind aufwuchs) die Identitäten geprägt und die emotionalen Bindungsfähigkeiten, Kommunikationsformen wie Sprache, geltende Werte und soziale Normen vermittelt. Konkrete soziale Praktiken bleiben oft über mehrere Generationen hinweg erhalten. Trotz vielfältiger gesellschaftlicher und politischer Wandlungsprozesse bleiben Familienstrukturen und -beziehungen (soweit es Verfolgung und Genozid zugelassen haben) erstaunlich stabil. So werden Lebensläufe, die bestimmte Leitbilder implizieren, ganz wesentlich durch die familiäre und damit milieuspezifische Herkunftsfamilie mitbestimmt.8 Oder anders formuliert: die biographisch erworbenen Handlungs-, Interaktions- und Einstellungsmuster lassen sich aus dem familiengeschichtlichen Kontext begreifen.

Zunehmend werden in der dritten und vierten Generation aber ebenso Einstellungs- und Handlungsmuster aus den öffentlichen und medialen Erinnerungsdiskursen gewonnen. Es gibt eine größere emotionale Distanz zu Eltern bzw. Großeltern/Urgroßeltern und neue Möglichkeiten der Ver- bzw. Bearbeitung von Familiengeschichte.

Die Beziehungen innerhalb der Mehrgenerationenfamilie sind deswegen besondere, weil sich Großeltern- und Elternschaft nicht auflösen lassen und man zeitlebens Kind seiner Eltern bleibt. Dies schafft Loyalitätsbindungen, die meist über das ganze Leben andauern. „Loyalität begreift in sich die Erwartung der Belohnung, letztlich durch Annahme, Respekt und Liebe als Gegenleistung für die gewahrte Treue“.9 Die Kehrseite sind Empfindungen wie Verrat oder Missachtung eigener Loyalitätsbemühungen. Boszormenyi-Nagy/Spark (1991)10 sprechen von „unsichtbaren Bindungen“, die die familialen Beziehungen konstituieren und existenzielle Dimensionen berühren. Sie erzeugen Abhängigkeit und Eigenständigkeit, Verpflichtung und Freiwilligkeit, die zwischen und innerhalb der Herkunfts- und Kernfamilien, eben auch den intergenerationellen Umgang mit der Familiengeschichte während des Nationalsozialismus bestimmen.

Die zweite Generation ist trotz ihres unterschiedlichen Alters und ihren unterschiedlichen Sozialisationen in der Bundesrepublik bzw. in der DDR unmittelbar verbunden mit den Handlungsmustern und Lebensgeschichten ihrer Eltern. Diese Töchter und Söhne sind maßgeblich über latent vermittelte und/oder verbalisierte Familienaufträge geprägt, die ganz unterschiedliche Inhalte aufweisen und zum Teil erst in der dritten bzw. vierten Generation erfolgreich gelöst bzw. transformiert werden.

Es findet in der Regel (je nach gesellschaftspolitischem Kontext) eine Identifikation mit den Opfern bzw. dem positiv besetzten widerständigen Teil der Familiengeschichte statt, was eine Ausblendung widersprüchlicher und schwieriger Bestandteile der Familiengeschichte zur Folge haben kann.

Das Älter werden der Zweiten Generation geht oft einher mit dem verstärkten „sich erinnern an die Kindheit.“

Im intergenerationellen Tradierungskontext bekommt diese Elterngeneration eine Übermittlerfunktion bzw. eine Schlüsselstellung zwischen erster und dritter Generation: was in dieser Generation an Delegationen nicht hinreichend bearbeitet oder verstanden werden konnte, wird an die Kinder übertragen.

Enkel/Urenkel: dritte und vierte Generation:

Zwar nimmt das Wissen über die manifeste Familiengeschichte im Nationalsozialismus mit der dritten Generation oft ab, doch werden, aufgrund der zeitlichen Distanz zur (Familien-)Geschichte, ungelöste Familienaufträge offensiver bearbeitet. Die schulischen Sozialisationsinstanzen (in Ost und West) und die öffentlichen Diskurse zur NS-Geschichte prägen diese Generationen umso mehr, wobei die Art und Weise des Gebrauchs von Geschichte durch die familiäre Vergangenheitstradierung und -bearbeitung bestimmt wird.

Familienaufträge und deren Bedeutung für das Engagement in politisch-historischer Bildungs- und Gedenkstättenarbeit

Erinnern im öffentlichen Diskurs

Das Familienleben stellt eine soziale Praxis dar, in dem sich transgenerationale Konstruktionsprozesse vollziehen: zentrale Familienthemen als auch gesellschaftliche Diskurse verdichten sich hier.11 Zur individuellen und gemeinsamen Verfertigung der Familiengeschichte und Selbstverständnisse gehören die jeweiligen gesellschaftspolitischen Kontexte der ost- und westdeutschen Erinnerungskulturen. Die historischen und familiengeschichtlichen Brüche in Deutschland verlangten biographische und familiale Neuorientierung, die in beiden deutschen Nachfolgestaaten unterschiedlicher ideologischer Anpassungen/Widerstände bedurften und sich durch den Transformationsprozess für die Ostdeutschen noch einmal neu stellte.

Die Mehrheitsgesellschaft als Zielgruppe der politisch-historischen Bildungsarbeit:

So, wie das Wissen um die manifeste Familiengeschichte im Nationalsozialismus mit jeder Generation in der Mehrheitsgesellschaft abnimmt, verstärkt sich der Einfluss der öffentlichen Erinnerungskulturen auf die nachfolgenden Generationen. Der Zugang zum und der Umgang mit historisch und medial vermitteltem Wissen über die NS-Zeit ist dabei abhängig vom Herkunftsmilieu, von der ost- bzw. westdeutscher Sozialisation, vom Geschlecht.

Bestimmend sind die emotionalen Bezüge und Gewissheiten auf der einen und das kognitive Wissen auf der anderen Seite. Hinter den emotionalen (Un-)Gewissheiten verbergen sich gefühlte und diffuse Familienepisoden, die zur geschützten privat-familialen Sphäre gehören. Der kognitive Bereich umfasst das angeeignete Wissen durch Schule und öffentliche bzw. mediale Diskurse. Wobei der Umgang mit der Familiengeschichte das Fundament bildet für die Art und Weise wie die öffentliche und offizielle Geschichtserinnerung angeeignet wird. Erinnerungen sind nicht nur selektiv und damit in einem bestimmten Referenzsystem, sie müssen auch mit Emotionen verbunden sein, um sie erzählen zu können. Oft gibt es aber nur Verschwiegenes, Schuldgefühle und unverstandene Fragmente, die tradiert werden.

Handlungsmuster, aus dem Familienprogramm, können von den nachfolgenden Generationen wiederholt bzw. ausagiert werden. Sie können sich destruktiv gegen andere bzw. gegen sich selbst richten, aber auch emanzipatorische Wirkung entfalten (z.B. autoritäre Strukturen, emanzipatorisches politisches Handeln, Suizid, Depressionen, Gleichgültigkeit, Rechtsextremismus).

Gegensätzliche Erfahrungspotenziale zwischen selbst erlebten bzw. familiär kommunizierten (bzw. verschwiegenen) und öffentlichen Gedenkweisen erschweren es für die nachfolgenden Generationen auch oft, gültige Formen der Erinnerung, des intrafamiliären Dialogs und der Selbstverständigung zu entwickeln. Diese konkurrierenden Erinnerungen schaffen Dissonanzen, verunsichern und verhindern die offene Kommunikation.

So ist ein offenes Erzählen immer ein Beleg für einen durchgearbeiteten Standpunkt und in dem Sinne authentisch: Kognitives und Emotionales können miteinander verbunden werden. Dies praktizieren mehrheitlich Menschen aus widerständigen Familien, Menschen aus Familien ehemaliger Verfolgten-Gruppen.

Die Großelterngeneration gibt Erfahrungen im Sinne politischer Lernerfahrungen meist nur an die nachfolgenden Generationen weiter, wenn sie oppositionelle Positionen zum NS eingenommen haben. Die Zielgruppen sind jedoch meist Angehörige der Dominanzkultur,12 die verdrängt und leugnet und sich nicht als Mitverantwortliche für den Nationalsozialismus verstanden hat.

Insofern gibt es eine Asymmetrie in der deutschen Gesellschaft:13 wenn sich die Mehrheitsgesellschaft nicht ihre »negative« Familiengeschichte aneignet, bleibt für sie auch die Erfahrungen der Opfer- und Verfolgtenfamilien abstrakt bzw. unverbunden mit der eigenen (Familien)Geschichte, die meist teilhatte an der Verfügungsgewalt über die definierten Opfergruppen.

Die emotionalen, moralischen und kognitiven Aspekte am historischen und familialen Wissen und ihr Verhältnis zueinander noch genauer auszuloten, wäre hier ein Ansatzpunkt. Die pädagogische Arbeit sollte alle drei Ebenen aufnehmen und so die Integration der emotional-affektiven und der kognitiv-rationalen Ebene ermöglichen: also das Abholen der Menschen bei oder mit ihren Familiengeschichten und Lebenswirklichkeiten . . .

Es bleibt festzuhalten, dass bezogen auf die letzten beiden Jahrhunderte die Nation als „stärkste unserer kollektiven Traditionen“ und als „unser Gedächtnismilieu par excellence“ bezeichnet werden kann (Pierre Nora 1990)14, die sich nicht einfach abwerfen lässt.15 Die Zugehörigkeit zu einem Nationalstaat und seiner Kultur wurde zum entscheidenden Inklusions- und Exklusionsfaktor moderner Gesellschaften, in die ebenso unweigerlich die Familientradierungen eingebunden sind und auch der religiöse Faktor auf dem Kräftefeld von Gesellschaft, Staat und Nation eine wichtige Rolle spielen kann.

Fazit oder ein Plädoyer für die Vorderbühne

Die Chance von Nachkommen der ersten Generation mit ihren differenzierten familienbiografischen Erzählungen in die vielfältige Bildungsarbeit zu gehen sollte nicht verpasst werden: um daran mitzuarbeiten, die ‚abstrakte‘ Geschichte in den Köpfen vieler mit emotional erfahrbaren Einzelschicksalen aufzubrechen; um Menschen der Dominanzkultur neue Fragen und Zugänge zur NS-Geschichte zu ermöglichen, um Verdrängtes und Geleugnetes der eigenen Familiengeschichte durch lebendige Narrative der Nachkommen von verfolgten und widerständigen Eltern, Großeltern bzw. Urgroßeltern auf produktive Weise ins Wanken geraten zu lassen und nicht zuletzt um alte Konstruktionen wie die der Nation zu dekonstruieren.

1 Vgl. Wachsmuth, Iris: NS-Vergangenheit in Ost und West. Tradierung und Sozialisation. Berlin 2008.

2 Bar-On, Dan/Gilad, Noga (1992): Auswirkungen des Holocaust auf drei Generationen. Psychosozial, Nr. 51, 15. Jg., H. 3, S. 7-37.

3 Freud, Sigmund (1912/13/1991): Totem und Tabu. Frankfurt/M., S. 213f.

4 Die Ausgangsgeneration ist die sog. erste Generation, die während der NS-Zeit erwachsen war/wurde. Die zweite Generation besteht aus deren Töchtern und Söhnen; deren Kinder bilden die dritte Generation und die vierte Generation sind wiederum die Urenkel der ersten Generation.

5 Wenn extreme Traumatisierungen die seelische Verarbeitungsfähigkeit der Traumatisierten übersteigt dringen sie auch in das Leben der nachfolgenden Generationen ein. Die Kinder erfassen das Erlittene unbewusst und sie leben quasi in zwei Wirklichkeiten, der eigenen und der traumatischen Geschichte der Eltern. Haydée Faimberg spricht von Telescoping (1985), bei dem sich die Generationen in einander schieben oder es wird von „unbewussten Identifizierungsprozessen“ gesprochen (Bohleber, W. (2008): Wege und Inhalte transgenerationaler Weitergabe. Psychoanalytische Perspektiven. In H. Radebold, W. Bohleber, J. Zinnecker (Hrsg.): Transgenerationale Weitergabe kriegsbelasteter Kindheiten. Weinheim. Judith Kestenberg verwendet die Metapher des Zeittunnels (1995), der die Erfahrung beschreibt, dass die nachgeborene(n) Generation(en) sich innerlich in eine Zeit und an einen Ort versetzt fühlen, an dem sie biografisch selbst nie gelebt haben.

6 Vgl. Somer, Eli/Gahleitner, Silke B./Frank, Christina/Krebs, Luise/Kindler, Marie-Luise/Wachsmuth, Iris (2015): Transgenerationelle Weitergabe von Trauma an die Generationen nach dem Holocaust und dem Nationalsozialismus, in: Gahleitner, Frank, Leitner, Anton (Hg.): Ein Trauma ist mehr als ein Trauma. Biopsychosoziale Traumakonzepte in Psychotherapie, Beratung, Supervision und Traumapädagogik, Weinheim, Basel, S. 20-37.

7 Lüscher, Kurt/Pajung-Bilger, Brigitte/Lettke, Frank/Böhmer, Sabrina (2000): Generationenambivalenzen operationalisieren: Konzeptuelle, methodische und forschungspraktische Grundlagen. Arbeitspapier Nr. 34.1, Universität Konstanz, S. 13.

8 Vgl. Kohli, Martin/Szydlik, Marc (Hg.) (2000): Generationen in Familie und Gesellschaft. Opladen. Born, Claudia/Krüger, Helga (Hg.) (2001): Individualisierung und Verflechtung. Geschlecht und Generation im Lebenslaufregime. Weinheim, München.

9 Wurmser, Léon (1987): Flucht vor dem Gewissen. Analyse von Über-Ich und Abwehr bei schweren Neurosen. Berlin, Heidelberg, New York, S. 14.

10 Vgl. Boszormenyi-Nagy, Ivan/Spark, Geraldine (1991): Unsichtbare Bindungen. Die Dynamik familiärer Systeme. Stuttgart.

11 Vgl. Kreher, Simone/Vierzigmann, Gabriele (1997): Der alltägliche Prozess der transgenerationalen Bedeutungskonstruktion. Eine interdisziplinäre Annäherung. In: BIOS 10, S. 246-275.

12 Der Begriff beschreibt Machtverhältnisse in der Mehrheitsgesellschaft differenziert und geht auf Birgit Rommelspacher zurück, siehe auch Attia, Iman/ Köbsell, Swantje/ Prasad, Nivedita (Hg.) (2015): Dominanzkultur reloaded. Neue Texte zu gesellschaftlichen Machtverhältnissen und ihren Wechselwirkungen. Bielefeld.

13 Hinzu kommen Millionen Migrant*innen und Menschen aus migrierten Familien, die sich zu dieser deutschen Geschichte positionieren (müssen).

14 Nora, Pierre (1990): Zwischen Geschichte und Gedächtnis. Berlin.

15 Auch Abgrenzungen und Internationalismus sind Reaktionen auf die Konstruktion von ‚Nation‘.

Karoline Georg (*1980) – Mein Großvater Karl Raddatz – überzeugter Kommunist und Antifaschist

2006 wurde mir während eines Mittagessens mein Sitznachbar als Hans Coppi vorgestellt. Mir entfuhr ein DER Hans Coppi, das mir sofort unangenehm war. Hintergrund war ein persönliches Erlebnis, das ich etwa 1989 hatte, als meine damalige Schule, von Hans-Coppi in Hans-und-Hilde-Coppi-Oberschule umbenannt worden war. Anlässlich der Umbenennungsfeierlichkeiten sprach Hans Coppi über seine Eltern, was mich als Kind tief bewegte und woran ich mich auch 2006 noch gut erinnern konnte.

In Vorbereitung dieser Umbenennung hatten wir uns im „Heimatkundeunterricht“ − wie es damals hieß − mit den Biografien der Coppis beschäftigt und ich erzählte meinen Eltern davon. Es muss etwa zu dieser Zeit gewesen sein, als mir meine Mutter sagte, dass auch mein Großvater Karl Raddatz Widerstandskämpfer gewesen ist. Ich habe ihn nie kennengelernt, er ist zehn Jahre vor meiner Geburt gestorben. Ich kann es nicht anders sagen, ich war stolz, mehr als stolz, dass auch mein Großvater zu den Menschen zählte, die Widerstand geleistet hatten.

Karl Raddatz, Jahrgang 1904, war gelernter Buchdrucker und seit dem Ende der 1920er Jahren in der KPD und der revolutionären Gewerkschaftsopposition organisiert. Nach 1933 beteiligte er sich am illegalen kommunistischen Widerstand in seiner Heimatstadt Magdeburg und wurde im Juli 1934 wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ vom Kammergericht Berlin zu einer dreijährigen Zuchthausstrafe verurteilt, die er im Zuchthaus Luckau verbüßte. 1937 entlassen, nahm er ab 1938 die illegale Arbeit wieder auf. Am 22. Juni 1941, dem Tag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, wurde Karl Raddatz in „Schutzhaft“ genommen. Nach einigen Wochen in Gestapo-Haft wurde er in das KZ Sachsenhausen überstellt. Hier war er inhaftiert, bis er 1945 auf dem Todesmarsch floh.

In der Oberstufe besuchte ich mit der Schule die Gedenkstätte und das Museum Sachsenhausen. Ich wusste, dass Karl Raddatz hier im kommunistischen Widerstand organisiert gewesen ist. Damals – Ende der 1990er Jahre – gab es noch die in der DDR entstandene Ausstellung über den Lagerwiderstand – meinen Großvater suchte ich dort vergebens.

Was mir meine Mutter 1989 nicht erzählt hatte, war, dass Karl Raddatz nicht zu denjenigen gehörte, die damals geehrt wurden. Am 22. Juni 1960, genau 19 Jahre nach seiner „Inschutzhaftnahme“ durch die Gestapo wurde er in der DDR verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. 1962 wurde er wegen angeblicher Spionage für das „Ostbüro der SPD“ und den Bundesnachrichtendienst zu einer siebeneinhalbjährigen Zuchthausstrafe verurteilt. Eigentlicher Hintergrund seiner Inhaftierung war das Bestreben einiger Parteifunktionäre, nach dem XX. Parteitag der KPdSU auch die DDR zu entstalinisieren. 1964 wurde Karl Raddatz im Zuge einer Amnestie aus der Haft entlassen.

Als Studentin habe ich begonnen, mein persönliches Interesse an der Geschichte des Nationalsozialismus, das unter anderem durch die Beschäftigung mit der Geschichte meines Großvaters entstanden war, in wissenschaftliche Bahnen zu lenken. Mittlerweile habe ich die Erforschung der nationalsozialistischen Verbrechen, des Widerstandes sowie dessen Verfolgung und besonders die Vermittlung dieser Geschichte an junge Menschen zu meinem Beruf gemacht.

Heute denke ich häufig darüber nach, was mein Großvater zu den aktuellen politischen Entwicklungen sagen würde; dazu, dass die AfD im Bundestag sitzt, dazu, dass in Brasilien gerade ein Faschist zum Präsidenten gewählt wurde, der ganz offen schon vor der Wahl politische Säuberungen angekündigt hat. Manchmal werde ich so wütend, wenn ich höre, dass „Nie wieder“ das höchste Credo in Deutschland sei. Ich frage mich, wann das genau beginnen soll: Fast 200 Menschen wurden in Deutschland seit 1990 von Nazis ermordet, unter ihnen die Opfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, der jahrelang unentdeckt blieb, während die Polizei versuchte, die Opfer in die Nähe des organisierten Verbrechens zu rücken und Angehörige drangsalierte. In Chemnitz wurden noch vor wenigen Wochen Journalist*innen und Menschen gejagt, die der Mob als „nichtdeutsch“ definierte. Und ich könnte noch so viel mehr aufzählen. Berlin ist nicht Weimar und doch gibt es so viele Parallelen, die mir Angst machen.

Ein wichtiger persönlicher Schritt war für mich der Eintritt in die VVN im vergangenen Jahr, deren erster Generalsekretär Karl Raddatz 1947 war. Zum einen fühle ich mich als Angehörige der sogenannten 3. Generation verpflichtet, die Erinnerung an die ehemaligen Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer und alle Verfolgten aufrecht zu erhalten. Zum anderen möchte ich diejenigen unterstützen, die zwischen 1933 und 1945 verfolgt wurden und heute noch in der VVN aktiv sind. Für die VVN ist Antifaschismus ein Zukunftsentwurf. Sie steht somit am Schnittpunkt zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Auch die Geschichte meiner Familie steht dafür.

Karl Raddatz war überzeugter Kommunist und Antifaschist. Dass er mein Großvater war, hat mich tief geprägt. Ich habe großen Respekt vor seinem Mut, Widerstand zu leisten und sich für seine Überzeugungen einzusetzen. Er hat sein eigenes Leben dafür riskiert. Auch ich bin überzeugte Antifaschistin und versuche täglich dafür einzustehen.

Karoline Georg, Dr. des., geboren 1980 in Berlin. Studium der Politikwissenschaft, Projektleiterin bei der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus von 2007 bis 2009, freiberufliche Tätigkeit im Bereich der historisch-politischen Bildung, 2012 bis 2018 Promotion zu den jüdischen Häftlingen im Berliner Gestapogefängnis und Konzentrationslager Columbia-Haus 1933 bis 1945 am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin und der Forschungsstelle Widerstandsgeschichte der FU Berlin, seit 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Gedenkstätte Stille Helden in der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand.

 

Mathias Wörsching (*1978) – Vielfältig vereint! Persönliche Eindrücke vom Austausch der Nachkommen

Die Projektidee

Anfang März 2018 starb hochbetagt mein Vater Rudolf Wörsching, ein stets solidarisch handelnder, kritisch denkender Sozialist und Antifaschist. Im Herbst 1944 war er von der Nazi-Wehrmacht desertiert und hatte sich bis zum Kriegsende im Frühjahr 1945 einer Partisanengruppe des italienischen Widerstands angeschlossen. Die Erzählungen meines Vaters von seiner Zeit bei den Partisanen legten in früher Kindheit den Grund einer antifaschistischen Haltung bei mir.

Dass mein Vater den Nazismus zutiefst ablehnte, hatte viel mit seinem eigenen Vater zu tun. Dieser hatte auch Rudolf Wörsching geheißen und war als kommunistischer Widerständler fast die ganze Nazizeit über in Gefängnissen und Konzentrationslagern eingesperrt gewesen, darunter in den KZs Dachau und Mauthausen. Zwei Jahre nach seiner Befreiung 1945 war er gestorben, gezeichnet von den erlittenen Entbehrungen.

Bereits bei meinem Vater handelte es sich also um ein Kind des Widerstandes, den Nachkommen eines Verfolgten. Ich hatte schon lange den Wunsch gehegt, etwas von dem antifaschistischen Impuls des Vaters und Großvaters weiterzugeben. In der Trauer um meinen verstorbenen Vater bildeten sich aus diesem Wunsch konkrete Fragen: Könnten die Geschichten aus meiner Familie andere Menschen in einer widerständigen Haltung gegen unmenschliche Zustände und Ideologien bestärken, ja vielleicht zu eigenem Engagement anregen? Wie müsste ich dann diese Geschichten erzählen?

Über diese Fragen wollte ich mich mit anderen Nachkommen des Widerstands, des Exils und von NS-Verfolgten austauschen. Dass ich dies 2018 im Rahmen des Nachkommenprojektes der Berliner VVN-BdA verwirklichen konnte, ist nur der Zusammenarbeit mit Marco Pompe, Hans Coppi und Jutta Harnisch zu verdanken. Gemeinsam konzipierten wir das Projekt, beantragten erfolgreich die finanzielle Förderung, kümmerten uns um die Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltungen.

Der Austausch

Einen Kernbestandteil des Projektes stellten drei sehr gut besuchte Werkstattgespräche im Juni, September und Oktober 2018 dar. Der erste Workshop im Juni 2018 trug den Titel: „Unsere Vielfalt, unsere Gemeinsamkeiten – (Berliner) Nachkommen von Verfolgten des Nazismus und Widerstandskämpfer/-innen im Gespräch“.

Erschienen waren Nachkommen kommunistischer Widerstandskämpfer/-innen, verfolgter jüdischer Menschen und von Exilant/-innen. Als die Teilnehmenden gebeten wurden, sich je nach ihrer Zugehörigkeit zur ersten, zweiten, dritten und vierten Generation der Nachkommen in unterschiedlichen Ecken des Raums zusammenzufinden, regte sich Widerspruch. Viele der Anwesenden gehörten in ihren Familien zu mehreren Generationen gleichzeitig. Doch vor allem aus politischen Gründen wurde die Aufteilung abgelehnt: „Wir sind alle Nachkommen! Wir bleiben zusammen!“ Das stand unüberhörbar im Raum.

In zwei kleineren Gruppen wurden anschließend die folgenden Fragen gestellt: „Wie hat Dich Deine Familiengeschichte politisch und menschlich geprägt? Wie beeinflusst diese Prägung Dein heutiges Handeln?“

Die stichwortartig aufgeschriebenen Antworten lassen sich nicht auf einen Nenner bringen, und doch kehren in ihnen einige Grundmotive immer wieder: Die Geschichte der (Urgroß- und Groß-) Eltern wurde ein wertvoller, antreibender Teil der eigenen Identität, doch damit einher gingen vielfach tiefe Traumatisierungen und auch ein gebrochenes, mitunter konfliktreiches Verhältnis zur deutschen Mehrheitsgesellschaft in DDR und BRD. Eines eint anscheinend alle teilnehmenden Nachkommen: Das grundlegende Selbstverständnis als politische Menschen mit gesellschaftlicher Verantwortung und dem Auftrag, sich gegen alle möglichen Formen von Menschenverachtung und Ausgrenzung einzusetzen.

Das zweite Werkstattgespräch im September 2018 stand unter der Überschrift: „Umgang von Nachkommen Verfolgter des Naziregimes mit psychisch bedingten Belastungen“. Es war mit weit über 50 Teilnehmenden der am besten besuchte Workshop und gleichzeitig der mit der größten Vielfalt von Nachkommen aus verschiedenen Widerstands- und Verfolgtengruppen.

Der Psychoanalytiker und Autor Ludger Hermanns sprach klar und eindringlich über Stolz, Auftrag und Trauer der Nachkommen, über die Weitergabe der Traumata der Vorfahren und über die feststellbaren Wiederholungsmuster von Verhaltensweisen und Verletzungen. Sein wichtigster Ratschlag an die Nachkommen war, nie allein zu bleiben mit ihren Problemen, sondern immer den Austausch mit anderen Betroffenen zu suchen.

Genau solch ein Austausch fand anschließend in drei parallelen Gruppen statt. Besprochen wurde, inwiefern die familiäre Verfolgungsgeschichte einerseits Antrieb für Aktivität sein kann – im Sinne einer Aufforderung: „Nie wieder Verfolgung zulassen!“ – und wie diese Geschichte andererseits zur Vorsicht mahnt, um nie selbst Verfolgung erleben zu müssen.

In einer anderen Gesprächsrunde ging es um das ambivalente Verhältnis der Nachkommen zum Deutschsein und zur deutschen Mehrheitsgesellschaft. Die meisten Nachkommen sehen sich eher als Bürger/-innen der Erde oder Europas und weniger als Deutsche. Dennoch fühlen sich alle verpflichtet, eine friedliche und demokratische Gesellschaft in Deutschland mitzugestalten.

Eine dritte Runde mit dem Titel „Wiederkehr der Vergangenheit?“ widmete sich der Reaktion der Nachkommen auf das Erstarken nationalistischer und autoritärer Kräfte in Deutschland, Europa und der Welt. Ängste vor der Zukunft empfanden alle Teilnehmenden angesichts der aktuellen Entwicklung. Einige äußerten die Befürchtung, in nicht ferner Zukunft selber ins Exil zu müssen – so, wie es vielen ihrer Vorfahren schon einmal erging.

Der zweite Workshop behandelte also verfolgungsbedingte transgenerationale Belastungen und Probleme, die bei Nachkommen weiter wirken können. Im Kreis der Nachkommen konnten diese Fragen offen und vertraulich erörtert werden. Vorgeschlagen wurde, den Austausch weiterzuführen, denn er ist für viele Nachkommen notwendig, um Handlungsfähigkeit zu erreichen. Um die Handlungsebene ging es dann auch im dritten und letzten Workshop im Oktober 2018 zu „Verfolgung, Widerstand und Exil – Nachkommen in der Bildungsarbeit“.

Nach einem Problemaufriss durch die Sozialwissenschaftlerin Dr. Iris Wachsmuth lernten die Teilnehmenden das Geschichtsprojekt einer Förderschule in Berlin-Neukölln kennen, die nach dem sozialdemokratischen Widerstandskämpfer Adolf Reichwein benannt ist. Lehrende und Lernende der Schule beziehen die Tochter des Namenspatrons, Sabine Reichwein, fortwährend in ihre Arbeit mit ein.

Danach gab es wieder drei parallele Gesprächsrunden, in denen sich Nachkommen über ihre Erfahrungen in der Bildungs- und Gedenkstättenarbeit austauschten oder Hinweise zur literarischen Verarbeitung ihrer Geschichten und zu ihrer Vermittlung an jüngere Menschen erhielten.

Das Projekt endet … und geht doch weiter!

Den Austausch unter Nachkommen habe ich als ungemein intensiv und anregend sowie als sehr vertrauensvoll empfunden. Viele beteiligten sich nicht nur an einem der Werkstattgespräche, sondern kamen wieder. Kontakte wurden neu geknüpft oder gepflegt; ein Netzwerk ist am Entstehen.

Zahlreiche Fragen, Bedürfnisse und Anliegen wurden geäußert und notiert. Entstanden ist die Idee, 2019 eine lockere Reihe von kleineren Gesprächsrunden zu speziellen Fragen zu organisieren. Auch hier soll wieder die gegenseitige Ermutigung und Bestärkung der Nachkommen im Vordergrund stehen, insbesondere die Vermittlung von Kontakten und Kenntnissen, um mit der eigenen Geschichte in Bildungsarbeit und Öffentlichkeit auftreten zu können.

Ich selbst habe noch keine Antwort auf die Frage gefunden, ob und wie ich die Geschichte meines Großvaters und meines Vaters – und meine eigene – vermitteln könnte. Auch deswegen bleibt der Austausch mit den Nachkommen 2019 für mich eine sowohl politisch als auch ganz persönlich wichtige Sache.

Zur Weitergabe psychischer Belastungen

Vorrede zu den Nachkommengesprächen im September 2018

Ausgehend von dem Unbehagen an der Generationenaufteilung bei dem vorangehenden Workshop habe ich unter den Stichworten Stolz, Trauer und Trauma über psychische Nachwirkungen bei Nachkommen aus Widerstandsfamilien gesprochen, das gilt auch in ähnlicher Weise für die Nachkommen aus verfolgten jüdischen Familien, ob im Widerstand aktiv oder nicht.
Zitiert habe ich Klaus von Dohnany mit seiner Bemerkung, die Familie des Widerstandes ist eine Familie der Seele und nicht des Blutes. Aus dem berechtigten Stolz auf die mutigen Taten der Eltern und Großeltern ist häufig eine Verpflichtung und ein ausgesprochener (und manchmal verborgener) Auftrag an die Nachkommen erwachsen, es ihnen gleich zu tun und ihrem Andenken keine Schande zu bereiten. Das konnte manchmal zu großen Mühen und Belastungen führen.

Bei der Trauer habe ich grenzenlose, verzögerte und pathologische Trauer unterschieden und für alle Formen Beispiele gebracht. U.a. Replacement child= wo man als „Ersatz“ für ermordete Familienangehörige auf die Welt kam und teilweise deren Vornamen bekam. Wo man als Kind regelrecht die Leere in der verfolgten Familie durch Fröhlichkeit und Aktivität auszufüllen hatte und wo hohe, fast unerfüllbare Forderungen an den eigenen Lebenswandel gestellt wurden. Daraus resultierte nicht selten als Gefühlsantwort eine starke Ambivalenz.

Eine regelrechte Traumatisierung kann daraus nachträglich entstehen. Dafür habe ich drei mögliche Auslöser festgemacht und im Detail erläutert:
1. Das Erlebnis der Wende mit seinem Zusammenbruch der DDR und den vielen Folgen.
2. Den gegenwärtigen Rechtsruck in Staat und Gesellschaft der BRD, aber auch im übrigen Europa.
3. Das Alter, indem nach dem Ende der Arbeitstätigkeit und mit dem allmählichen Nachlassen des Kurzzeitgedächtnisses Erinnerungen an die Frühzeit der Familie und die eigene Kindheit größere Bedeutung bekommen und wo mit dem Verlust vieler Freunde und Genossen durch chronische Krankheit und Tod Gefühle der Einsamkeit stärker werden können.

In der Summe können Gefühle der Ohnmacht und Hilflosigkeit entstehen, die zur Passivität führen. Es ist gut, wenn dagegen immer wieder der objektive Wert der Erfahrungen von Eltern und Großeltern ins Bewußtsein gebracht wird. Als Mittel zur Überwindung der Ohnmacht ist die Pflege der Zugehörigkeit zu Gruppen Gleichgesinnter, die über ähnliche Lebenserfahrungen verfügen, sehr zu empfehlen. Die politische Aktivität kann der Resignation und Vereinzelung wirksam begegnen.